Schnellkochtopf. War das eigentlich der Thermomix der 1970-er? Beim Leerräumen unseres Elternhauses werden die Tiefen des Langzeitgedächtnisses und der Gefühle gleichermaßen aktiviert. Ich bin allein im Haus, um auszusortieren, schalte mein altes Radio an. Da ist die vertraute Stimme von Götz Alsmann am frühen Samstagnachmittag im WDR, ach, wie wohltuend. Meine Mutter ist jetzt pflegebedürftig, so dass sie in ihrem großen Haus nicht mehr alleine wohnen kann.
Es gab wohl kaum eine Woche in meinem Leben, in der ich meine Eltern nicht besucht hätte, das Haus war immer voller Leben – mit Freunden, Familie, Menschen aus der Jugendzeit, dann aus dem Studentenleben. Wenn mein Vater aufwachte, weil eins der Kinder mal wieder nach langer Nacht die Freunde mit nach Hause brachte, hat er erst mal Bratkartoffeln mit Spiegelei für alle gebraten. Die Pfanne hat sich mein Neffe wegen der leckeren Bratkartoffeln gewünscht. Mein Elternhaus war auch das Enkel-Paradies.
Obwohl ich keine „Steh-Rümmchen“ mag und das Aufgeräumte brauche, hänge ich an alten Dingen. Über Jahrzehnte habe ich einfach alles bei meinen Eltern gelassen oder in der großen Korbtruhe im (großen) Abstellraum unterm Dach verstaut, was überleben sollte. Ich meine, dass gute Erinnerungen auch sichtbar sein dürfen zu Hause und nicht nur im Herzen – wenn sie mit guten Gefühlen verbunden sind. Jede und jeder geht anders damit um. Manchen macht es nichts aus, ein Fotoalbum wegzuwerfen, andere brauchen gar nichts außer ihren Erinnerungen. „Damit habe ich gespielt?“ Mein Bruder staunt angesichts der bunten hölzernen Spielzeug-Lok aus den 60-ern. Sie bekommt einen neuen schönen Platz bei ihm.
Archäologie der Gegenwart
Meine Mutter wollte, dass wir vier Kinder mit unseren Familien und ihren Enkel sich aussuchen, was sie aus dem Haus gerne mitnehmen wollten. Die Wassily-Stühle vorm Kamin, das Teeservice von Rosenthal, das uralte Burgenland-Kaffeeservice von meinen Großeltern, das ganze Service mit Goldrand. Und was ist mit dem Zinnregal? Mir tat es gut, alles einmal in die Hand zu nehmen, zu wissen, was gut ist und funktioniert kommt in andere Hände; alles andere hatte auch seinen Dienst getan, wie meine Schwester mich überzeugte.
Die Chrismon-Chefredakteurin Ulrike Ott hat in ihrem sehr schönen Buch „Das Haus meiner Eltern hat viele Räume“ über den Abschied und das Sich-Trennen von Gegenständen geschrieben. Ich komme mir gerade vor wie eine Archäologin der Gegenwart, mit jedem Gegenstand tut sich der Blick in unsere jüngste Geschichte auf: Kassetten, CD-Player, Latein- und Französisch-Bücher voll mit Peace-und-Love-Symbolen. Ich finde den Führerschein meiner Mutter, am 22. Februar 1973, nach der Geburt ihrer vier Kinder hat sie als 36-Jährige ihre Fahrprüfung gemacht. Im selben Jahr folgte aufgrund der Ölkrise der legendäre autofreie Sonntag. Der halbe Schrank ist voll mit meinen Lebensjahrzehnten. Das Poesiebuch aus der Schule, mein erstes Kindergebetbuch aus dem Kloster Gerleve. Dahin fuhren wir manchmal sonntags zur Messe. Wie haben meine Eltern es eigentlich geschafft, nach einer arbeitsreichen Woche immer einen Sonntags-Ausflug mit uns zu machen? Wahrscheinlich waren sie mindestens das Spaziergang-Gequengel leid. Ich habe ein kleines Büchlein wiedergefunden, in das alle Ausflugsorte eingetragen sind: Märchenwälder, nahezu alle Zoos und Tierparks, Hermanns-Denkmal, Sommer-Rodelbahn. Das Ausleih-Heft der Bücherei, ich entdecke den Titel „Désirée“ von Annemarie Selinko, herrje.
Weiter in die 70-er, das Lederarmband mit den Namen der ganzen Clique war Pflicht; die kleinen Gläschen aus Amsterdam, die man in den Setzkasten stellte, sind noch da. Eine der blauen Bonbonièren aus meinem Jugendzimmer steht nun wirklich bei meiner 18-jährigen Nichte. Die breitschultrige rote Lederjacke aus den 80-ern, Odeon-Programme; Liebesbriefe, aber auch Namen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Ok, das kann also weg. Aber da: Die Handschrift von Volker Kriegel, nach seinem Konzert mit dem Mild Maniac Orchestra, ich war junge Zeitungsvolontärin, haben wir über die Musik geschrieben.
Und die Fotos von Annette Humpe, der Sängerin und Gründerin der West-Berliner Band Ideal, die Vorreiter der Neuen Deutschen Welle waren, das Interview mit dem Perkussionisten Batt Behrendt, den ich als Bandmitglied von Volker Kriegel kennengelernt hatte. Die Erinnerungen sind eine Zeitreise durch Jahrzehnte, gesellschaftlichen Wandel. Die Dinge machen den Zeitgeist sichtbar. Über die alte Stereo-Anlage hat sich der Elektro-Bastler in unserer Straße gefreut, meine Schwester und ihr Mann haben den großen Esstisch zu der Familie gebracht, die ihn nicht transportieren konnte, Geschirr und Gläser finden sich in den Studenten-Wohnungen wieder. Tische werden wieder gedeckt mit den alten Hochzeits-Gläsern und dem Silberbesteck – nur Gegenstände, die aber auch das Leben und die Liebe des Elternhauses in sich tragen.